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ADB | Glocal News #001 Preview |
Interview mit Chri Frautschi
"Kunst
sollte idealerweise immer in der Öffentlichkeit stattfinden"
Chri
Frautschi (1969*), Gewinner des diesjährigen Preises für Vermittlung
visueller Kunst des schweizerischen Kunstvereins, ist der Initiant und
Leiter des Lokal.int in Biel (CH). Der Kunstort unweit des Hauptbahnhofs
mit dem präsenten und vielbelebten Fenster zur Stadt kann sich nicht
der Aufmerksamkeit der Passanten entziehen. Durch die künstlerischen
Veränderungen greift das Lokal.int regelmässig in den Stadtraum
ein. Im Gespräch mit Marcel Henry äussert sich Chri Frautschi
zur Bedeutung der künstlerischen "Einmischung" im urbanen
Raum.
Marcel Henry: Das Lokal.int verfügt über ein sehr präsentes
Schaufenster zu einer belebten Strasse hin. Inwiefern vermag dieses unübersehbare
(Kunst-)Schaufenster Themen in der Stadt zu setzen?
Chri Frautschi: Themen in der Stadt zu setzen, wäre sicherlich
ein zu hoher Anspruch. Die Nähe vom Lokal.int zur Strasse bringt
jedoch die Themen des Kunstraums definitiv mehr unter die Leute, als dies
ein abgeschotteter Kunstraum vermag.
MH: Mit dieser Antwort bist du sehr bescheiden. Denn gelegentlich
gelingt es dir, mit den Aktivitäten im und ums Lokal.int Aspekte
zur Sprache zu bringen, die dann auch medial rezipiert werden, wie es
etwa mit der Ausstellung Non-taking-place und der entsprechenden Werbekampagne
geschehen ist.
CF: Die Plakatieren
verboten-Plakate waren die Werbeträger der Ausstellung Non-taking-place,
die im Sommer 2009 im Lokal.int stattfand. Damals wurde das Lokal mit
einer Holzwand verschalt. Diese wiederum wurde mit von KünstlerInnen
gestalteten Plakaten zugeklebt. Der Raumkörper suggerierte einen
Umbau. Betrachtete man aber die Plakate genauer, so wurde deutlich, dass
hier etwas nicht stimmen konnte und man nicht vor einer wild plakatierten
Baustelle stand. Die Aktion war demnach definitiv ein Eingriff in den
öffentlichen Raum, eine kleine Unterwanderung der Sehgewohnheit,
eine Irritation. Als dann eine Fotografie eines Plakatieren verboten-Plakates
als Illustration einer Polemik übers Wildplakatieren im Bieler Tagblatt
erschien, gewissermassen zur Illustration der Respektlosigkeit der Plakatierer,
da habe ich mich natürlich insgeheim über die ausgelöste
Eigendynamik gefreut.
MH: Gegen welche
Widerstände kämpfst du, wenn sich die Kunst im Lokal.int zu
fest aus dem Schaufenster lehnt?
CF: Im Vorfeld
ist es oft schwer abzuschätzen, was wie stark provoziert. Auch sind
die negativen Reaktionen häuftig schwer nachvollziehbar, da diese
nicht selten rasch wieder verhallen. Was nicht unkommentiert blieb, war
eine Ausstellung eines Genfer Künstlers, welcher ein lebendiges Huhn
im Raum platzierte. Darauf wurde ich regelrecht von empörten E-Mails
überschwemmt; der Tierschutzverein meldete sich, die Polizei wollte
wissen, was dahinter stand. Wäre das Huhn im Schaufenster eines Warenhauses
gestanden, hätte sich wohl kaum jemand daran gestört. Kunst
provoziert rasch. Schon die Tatsache, dass jemand sich ihr widmet, ist
die Konsequenz einer positiven Provokation. Und dann gibt's Menschen,
die ganz einfach Dampf ablassen müssen, die die Scheiben einschlagen,
ihre Spraydosen entleeren. Es ist dann wichtig hinzustehen und zu manifestieren:
Voilà, hier sind wir. Ob's euch passt oder nicht. Nun muss ich
aber auch noch sagen, dass viele Reaktionen unglaublich positiv ausfallen.
Ich werde oft von Leuten angesprochen, die nie an die Eröffnungen
kommen, das Programm vom Lokal.int aber verfolgen und die Arbeiten unter
der Woche durchs Fenster anschauen gehen.
MH: Utopics, die gross angelegte Schweizer Skulpturenausstellung, die
sich ausschliesslich im öffentlichen Raum abspielte, gehört
inzwischen der Vergangenheit an.
Ist es deiner Meinung nach legitim, wenn die Stadt Biel Utopics als wichtiges
Element des Stadtmarketings nutzt oder gibt es einen Zielkonflikt zwischen
kulturellen Idealen und wirtschaftlicher Ausschlachtung?
CF:
Ich denke, dass in Biel die Tendenz Kulturförderung als Aspekt des
Stadtmarketings zu begreifen, noch nicht wirklich angekommen ist. Die
Hamburger können da ein anderes Lied singen. Ich empfehle diesbezüglich
den Besuch folgender Webseite: www.buback.de/nion.
Ganz allgemein bin ich der Ansicht, dass sich Kultur und Wirtschaft nicht
mögen, nicht mögen sollten. Kultur hat nichts mit Wirtschaften
zu tun. Diejenigen, die etwas anderes behaupten, sollen sich Cats anschauen
gehen.
MH: Was unterscheidet deiner Meinung nach die Machart von Kunst im
öffentlichen von Kunst im musealen Raum?
CF: Museale Räume interessieren mich nicht. Kunst sollte idealerweise
immer in der Öffentlichkeit stattfinden. Man kann sich dann fragen,
wie man den öffentlichen Raum definiert. Jedenfalls denke ich: Kunst
braucht keine Sakralbauten.
MH: Mit welchen rechtlichen Schwierigkeiten ist in Biel zu rechnen,
wenn Kunst ohne Bewilligung im Strassenraum gezeigt wird?
Chri Frautschi: Man sagt Biel sei in dieser Hinsicht relativ tolerant.
Auch das Lokal.int wird nicht übermässig gemassregelt, auch
wenn man eigentlich für jeden Gartentisch auf dem Gehsteig eine Bewilligung
bräuchte, ganz zu schweigen von Trottoir-Konzerten. Lokal.int wird
im Sommer 2010 einen neuen Raum suchen müssen. Der Kiosk wird abgerissen.
Falls ich keine passende Räumlichkeit finde, werde ich einen kleinen
Transporter kaufen und dessen Laderaum zum Kunstraum erklären. Diese
Events werden dann notgedrungenermassen ausschliesslich im öffentlichen
Raum stattfinden. Wie weit dann die Toleranz gehen wird, wird sich erweisen.
Link
www.lokal-int.ch
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